Zwei Meter Liebe – Sinya
Zwei Meter Liebe – Sinya

Zwei Meter Liebe – Sinya

Große Sinya

Kurzgeschichte über eine große Frau, meine liebe Freundin Sinya.

Sinya komm, Du bist doch groß, Du kannst das.
So war das oft und so wird das wohl immer sein. Groß hieß immer stark und besser. Dabei war und wollte ich es immer sein, ein ganz normales Mädchen. So wie die anderen, einfach nur ganz normal. Auch ich wäre auf dem Oktoberfest gerne mal in der Dreier-Looping-Bahn mitgefahren. Auch ich hätte gerne in Vivians kleinem Auto mit meinen Freundinnen zusammen auf der Rückbank gesessen, Vivian war die Älteste von uns und hatte schon ein Auto, aber ich musste immer nach vorne, alleine, klar. Auch ich wäre gerne mal diejenige gewesen auf die aufgepasst wird und nicht umgekehrt. Auch ich wäre gerne mal beschützt worden. Auch ich hätte gerne mal die wirklich schönen Sachen gekauft wie Vivian, Martina oder Andrea. Ich liebe es mit ihnen Shoppen zu gehen, aber – Shoppen? Das war bei mir doch meist nur schauen, und träumen von hübschen Kleidern, einem süßen Rock oder einen trendy Shirt. Was mir passte war das was übrig war, was keinem passte. Was auch an mir hübsch aussah, wo ich mich so gerne hübsch machte, war schwer bis gar nicht zu finden. Auch ich hätte so gerne mal ein Kleid angezogen das nicht nur wie ein langes Oberteil aussah.

„Sinya, Du bist so eine Hübsche, das sieht doch auch gut an Dir aus.“ Sagten sie um mich zu trösten, wenn ich manchmal weinte weil mir wieder einmal nichts wirklich passte. Einmal nicht nur die zweite Wahl nehmen zu müssen. Mich nicht nur mit dem Wenigen zufrieden geben zu müssen, was andere unbeachtet beiseite legten. Auch einmal im großen Angebot wühlen und den ganzen Tag Sachen anprobieren und mich in einem Spiegel anzuschauen, in dem ich mich komplett hätte sehen können und eben nicht nur ohne Kopf und Schultern.

Natürlich bin ich mit ins Kino gekommen, denn ich liebte das Kino genau so wie die anderen Mädchen. Ich hätte auch mal gerne in der Mitte der Loge gesessen und nicht nur auf dem ersten oder letzten Sitz am Rand der Reihe, wo ich nur dort meine Beine ausstrecken konnte. So gerne auch mal ohne schlechtes Gewissen, weil ich selber wusste, das wenn jemand hinter mir sitzt kaum etwas von der Leinwand sieht.

„Sinya, Du bist doch groß, das kann doch so schlimm nicht sein.“ Das Knie war aufgeschlagen weil ich hingefallen war, brauchte ich keinen Trost? Bin ich, weil ich groß bin, weniger Schmerzempfindlich? Ist meine Seele nicht genau so verletzlich, meine Tränen nicht genau so kristallklar?
Habe ich nicht auch das Bedürfnis ernst genommen zu werden?
„Och – die ist doch groß, die kann das ab.“
„Hey – wie ist die Luft da oben?“
„Kannst Du nicht nach hinten gehen? Du bist doch so groß und die anderen können nichts sehen.“
Aber ich wollte meine geliebten Boss-Hoss auch mal aus der Nähe auf der Bühne sehen, und eben nicht immer nur so weit entfernt, aus der letzten Reihe. Ich bin zwar groß, aber ein Zoom haben meine Augen auch nicht, auch wenn ihr das vielleicht annehmt.

„Du bist so hübsch, Du hast doch so eine tolle Figur, sieh Dich doch mal an Liebes. So schöne schlanke Beine, so eine süße Taille, so feine Hände und schau Deine schönen Füße. Und erst Dein Busen, Sinya, ein schönes D, das D Körbchen und so ein hübsches Gesicht mit Deinem blonden und langen Haar und den blauen Augen.“ Du bist eine Schönheit sagten sie mir, alle – aber ich bin doch so groß. Und das hieß zugleich belastbarer zu sein, leistungsfähiger und psychisch stabiler. Genügsamkeit hatte mir nichts auszumachen. Verzichten hat selbstverständlich zu sein. Immer nur das Zweitbeste, und was ich wollte und liebte – das galt nichts. Aber – Du bist eine Schönheit – das sagten auch die Jungs.

Die Jungs, – ja. Da waren viele und wirklich gute Jungs dabei. Mike mochte ich besonders gerne und ich war eine Zeit lang schwer in ihn verliebt. Er war gut in Mathe und half mir ab uns zu. Mike mochte mich auch und er fand meine langen Finger so schön, meine Hände, die größer als seine waren. Aber er war lieber mit Julia zusammen, die kleiner war als er mit seinen 188cm. Julia war 178cm.
Da waren sie – die 22cm. Die Breite eines Blattes Papier.
Sinya, Du bist hübsch, es wird sich schon was finden. Du hast eine Top Figur, werd’ doch Model.
Aber das wollte ich nicht. Ich wollte auf die Uni und Sprachen studieren, ich war gut in Englisch und Spanisch. Aber Model? Warum sollte ich Model werden? Weil ich 2m bin? Weil mir keine Klamotten und Schuhe passen? Findet mal schöne Damenschuhe in Größe 44. Weil ich lange Beine habe, die im Kino oder Flugzeug keinen Platz finden? Oder kommt mir jetzt noch einer mit dem Vorschlag doch besser Basketballspielerin zu werden? Ich liebe Sport und liebe es Rad zu fahren. Aber ich auf einem Fahrrad? Mich der Lächerlichkeit preisgeben? Habt ihr das mal gesehen? Ich auf einem normalen Fahrrad, das keine Sonderanfertigung ist und dadurch nahezu unbezahlbar?

Und wenn wir Mädels ausgingen wollte ich auch gerne mal meine lange gesuchten und gefundenen Pumps anziehen. Das sah scharf aus, die haben gut zu mir gepasst. Und die Jungs und jungen Männer haben Stielaugen auf der Party bekommen. Sie schauten mich an – das gefiel mir. Sie machten mir Komplimente was ich für eine auffällig schöne Frau sei. Auffällig – das stimmt mit 2,08m mit meinen Pumps. Und verdammt ja, waren da fesche Jungs… eine tolle Party mit toller Musik und laut war sie auch. Mal so richtig ausflippen und tanzen. Wir lachten viel und meine Freundinnen und ich waren fast immer zusammen. Wir liebten uns und machten fast alles gemeinsam. Laute Partys sowieso – auch wenn ich nicht immer mitbekam worüber sie sprachen, weil ich mich immer hätte zu ihnen herunterbeugen müssen um inmitten der lauten Musik etwas hören zu können.

Ich war immer dabei und nie alleine. Aber doch immer ein klein wenig einsam.
Die Männer machten Komplimente und beteuerten mir ihre Wertschätzung und wie beeindruckt sie von meiner Präsenz seien.
Ein Drink, ja. Ein schönes Gespräch, ja. Und ja – auch vielleicht mal ein Küsschen und wenn er es schaffte mir einmal über den Arm zu streicheln schlug mein Herz schneller.
Aber mit mir tanzen oder gar ein zweites Date? Das kam nie. Ich tanzte alleine. So wie auch bei den Dates. Ich saß da und wartete. Trank meinen Kaffee oder meinen Cocktail, hatte mein Smartphone in der Hand und schrieb mit Vivian, die dann kam und mich tröstete. Wie scharfe Säure brannten mir meine Tränen auf den Wangen. Da saßen wir noch eine Stunde, wie schon so oft, verheult und enttäuscht. So auffällig das jeder sehen konnte das ich die war die versetzt wurde.
Alle mochten mich aber keiner wollte mich so richtig.
Du bist doch groß, Du kannst das ab. Es wird sich schon was finden.

Auch Frank, der 198cm groß war wollte mich nur als gute Freundin. Und er war so ein schöner Mann, so freundlich und intelligent. Ein Traum von Kerl. Aber er wollte was zum beschützen haben. Eine Frau die diesen Instinkt bei ihm weckt, ein Rehlein, eine süße kleine Püppi mit 55, vielleicht 60kg. Aber doch nicht so ein Dampfkamel – die trotz Top Figur nun einmal 82kg wiegt. Was ganz normal bei der Größe und Oberweite ist.
Will ich nicht auch beschützt werden? Brauche ich, nur weil ich 2m bin, keinen Schutz?
Will ich nicht auch geliebt werden? Einfach nur geliebt werden und Liebe geben?
Denn davon habe ich ganz viel. Ja ich quelle über vor Liebe für Dich oder Dich. Aber willst Du mich und meine 2 Meter Liebe?

Als Vivian mich anrief und fragte ob ich Lust auf eine spontane Party bei einem ihrer Kumpel hätte sagte ich natürlich sofort zu und machte mich zurecht. Schnell etwas Lippenstift und Makeup. Keine hohen Schuhe – oder doch? Warum denn nicht verdammt noch mal, ich will dann hohe Schuhe tragen wenn ich es will. Und ich will es jetzt. Ein schwarzes kurzes Kleid das meine schönen Beine zeigt und meine schicken schwarzen Sandalen mit dem nicht ganz so hohen Blockabsatz, mit denen ich auch fein tanzen kann. Der Sommerabend war warm, meine Jacke brauchte ich diesmal nicht mitzunehmen. Ich kämmte meine langen Haare durch und wartete auf Vivian.

Als wir ankamen waren bestimmt schon hundert Leute da, und das Haus war groß und weitläufig. Der Kumpel war wohl jemand aus ihrer damaligen Schulklasse. Jedenfalls hatten wir Stunden lang Spaß und die jungen Männer sahen mich wie gewohnt an – was nicht überrascht mit 2,05m Größe. Und das ich alleine tanzen muss – das kannte ich ja auch schon.

Ich machte eine kleine Pause um was zu trinken und setzte mich danach draußen bei einer Treppe auf die unteren Stufen um einen Moment zu entspannen. Ohne nachzudenken nahm ich mein Smartphone zur Hand. Ich muss schon wohl einige Minuten dort gesessen haben als sich mir ein junger Mann näherte. Er machte ein wenig auf cool und hatte trotz des Abends eine Sonnenbrille auf. Er hatte eine warme Stimme und reichte mir seine nach oben geöffnete Hand während er mich zum Tanzen aufforderte. Mein Herz machte einen kribbelnden Sprung und ich freute mich riesig. Denn er gefiel mir auf den ersten Blick, ersten Sekunde und ich strahlte ihn an. Er lächelte lieb, ich nahm seine Hand und er half mir sogar aufzustehen. Es war eine schöne Berührung, seine Hand war freundlich und weich.

 

Es waren glückliche Sekunden. Endlich jemand der zu mir kommt – und ich stand auf. Natürlich – ich war einen Kopf größer als er – schaute er zu mir hoch und zog dabei seine Sonnenbrille über seine Stirn. Sofort ließ er meine Hand los. Ich berührte zart einen Ellenbogen während ich ihn noch voller Freunde anlächelte. Ich sagte ihm das ich unglaublich gerne mit ihm tanzen möchte und beugte abwechselnd leicht meine Knie um anzudeuten auch richtig Lust zum Tanzen zu haben.

 

Er sah mich einige Sekunde an dann wandte er sich ab und sagte über die Schulter, das er doch  noch schnell weg müsse und es ihm leid tut nun doch nicht tanzen zu können. Ich aber ganz toll aussähe und er später wieder käme. Ganz sanft hielt ich seinen Unterarm nur mit den Fingerspitzen und bat ihn liebevoll nicht zu gehen. So ein hübscher Kerl. Doch er entzog sich mir und alle meine Künste ihn zum Bleiben zu bewegen waren dahin. Selbst mein kurzer ungewollt trauriger Blick funktioniert nicht.

 

Er ging einfach mit ein paar Ausreden weg und ließ mich stehen, wobei ich ihm hinterher sah.

Dann stand ich da – vor der Treppe, versuchte noch zu lächeln und mein Herz stach in meiner Brust. Er kam nicht zurück. Ich bin ja groß, ich muss doch stark sein, ich kann das ab.
Traurig war ich an dem Abend. Einfach nur noch so unsagbar traurig das ich glaubte mein Herz verbrennt mich von innen.

Ich bin hübsch, eine Augenweide, eine tolle Figur, so freundlich und intelligent, liebevoll und umsichtig. Und ich bin – eine Frau.
Aber meine 2m Liebe will keiner haben. Ich rief ein Taxi und ließ mich nach Hause fahren, denn ich hatte etwas mehr getrunken als gut war.

Auf dem Rücksitz des ruhig dahin fahrenden Mercedes schaute ich auf meine ganz besonders für diesen Abend schön gemachten Hände herab. Sie hielten immer noch mein Smartphone das leicht leuchtete – kristallklare Tropfen glitzerten auf dem Bildschirm – und niemand sah meine Tränen.

 

Eine traurige Geschichte, ich weiß. Sie soll den Männern und Frauen dieser Welt aufzeigen das an großen Frauen gar nichts anders ist außer ihrer Größe. Das sie genau so schutzbedürftig sind, liebenswert, attraktiv, aufregend und lieb sein können. Respektiert sie, macht keine dummen Sprüche über ihre Größe oder fragt danach. Es sind Frauen – und schöne dazu. In jeder von ihnen schlägt ein sensibles Mädchenherz. Erfreut Euch an ihrer Besonderheit und gebt nicht mit ihnen an. Also reißt euch mal zusammen und seid anständige Kerle, richtige Männer und keine Clowns. Verehrt sie und seid Gentlemen, das kann doch nicht so schwer sein?

 

Inspiriert durch die Erfahrungen von Nic und Ingrid Vasconcelos Video.

Eure Jessy

Sinya