Marikos Reise
Marikos Reise

Marikos Reise

Die Odyssee

 

Hier erzählt Euch Mariko die Erlebnisse ihrer Reise. Es war nicht einfach. Gar nicht, wenn man bedenkt wie wir sind.
Eure Jessy

Mariko

Wenn ich doch nur wüsste was passiert war.
Ein Wahnsinn, was für ein Wahnsinn.
Ich kam Monate nicht zur Ruhe.

Eigentlich sollte ich nach Portugal reisen… aber da wollte man mich wohl nicht. Ehe ich überhaupt verstand was passiert ist war ich schon wieder eingepackt und die Kiste zugeklebt. Dann ging es nach Slowenien. Dort wurde ich ausgepackt, angestarrt – ein gut aussehender Mann sah mich an und ich dachte schon ich bin angekommen. Ich schaute ihn mit meinen braunen großen Augen ganz lieb und voller Erwartung an und hätte gerade gerne meine Hände nach ihm ausgestreckt, da schüttelte er nur den Kopf und schon war in wieder in der Dunkelheit meiner Kiste gefangen. Der wollte mich auch nicht. War ich die Falsche? Immer wieder wurde ich umhergeschickt, ausgepackt, angeguckt, eingepackt. Dann Spanien – meine Güte aus der Ecke kam ich doch gerade erst – wieder ausgepackt und jemand regte sich furchtbar lautstark auf. Packte mich lieblos ganz aus und ich schämte mich so weil doch ich nichts an hatte und ich spürte das ich ihm nicht gefalle. Er war ganz ungehalten, roch nach Autowerkstatt und schmuddelige Hände fassten mich am Hals, an der Brust, am Rücken und hinterließen Abdrücke. Genau so wurde ich auch wieder eingepackt. Toll..
Die wollen auch nicht das ich da bleibe. Aber was passiert denn hier? Bin ich so häßlich das mich niemand haben mag? In meiner Kiste waberte der Geruch von altem Fett und Metall. Völlig überfordert von all den Eindrücken schwankte ich zwischen Verzweiflung und Panik.

Meine Zweifel

Mittlerweile ist meine Kiste völlig hinüber, überall Löcher, zugeklebt und wieder zerrissen. Meine Polster zerbrochen, meine Fingerchen verbogen und gebrochen. Ich fühle mich ganz furchtbar, habe Schmerzen und für niemanden bin ich gut genug. Und mein linker Fuß tut mir furchtbar weh. Ich glaube da bin ich schlimm verletzt… aber ich kann nichts sehen.
Meine rechte Schulter tut mir auch ganz doll weh, auch da muss was sein. Wer will mich den jetzt noch so? Immer wieder wird meine Kiste umhertransportiert, umgekippt und wieder bricht ein Polsterstück entzwei. Die Zähne musste ich vor Schmerz zusammenbeißen als meine Kiste fallen gelassen wurde – ich kann mich kaum mehr richtig festhalten. Wenn das so weitergeht werde ich das hier nicht überleben, befürchte ich. Dann hörte ich Männerstimmen, die geräuschvoll Sachen bewegten, es klirrten Ketten und ein Schleifen, wie wenn man Holzpaletten über den Boden zerrt.

Dort draußen

Ich weiß, da draußen ist eine andere Welt. Eine Welt die nur funktioniert wenn man mich von Herzen wirklich will. Nur in dieser Welt kann ich sein, lieben und leben. Aber ist denn da kein Herz für mich? Ich brauche doch nur einen ganz kleinen Platz darin. Oder doch? Ich hörte Leute herannahen. Wie sie riefen und rannten, schließlich hektisch meine Kiste griffen und verluden.
Auto oder Schiff, Flugzeug oder Eselkarren? Das ratschende Geräusch eines Klebeband-Abrollers verriet mir, das meine Kiste wohl so zerdengelt war, das sie wieder einmal geklebt werden musste. Mittlerweile besteht sie wohl mehr aus Klebeband als aus Pappe. Ich wusste auch nicht mehr in welchem Land ich gerade bin oder wo überhaupt auf diesem Planeten. Voller Angst und Verunsicherung konzentrierte ich mich auf mein Inneres.
Ich dachte, es wäre besser ich mache die Augen zu – kniff sie ganz fest zusammen und lauschte ob hinter all dem irdischen Lärm noch etwas anderes zu hören war. Denn ich habe fast verlernt in die Zwischenwelt zu horchen. Ich konzentrierte mich angestrengt – ja, ganz fest… und ich horchte.

Der Klang der Zwischenwelt

Da war es. Erst nur ein Rauschen und Knistern wie von Laub das der Wind über einen Feldweg vor sich her treibt. Meine Seele die umherirrte und nach Kontakt suchte und rief – „…ist jemand hier? Hallo?“ Ein seltsamer Ort eröffnete sich vor mir – es schien draußen zu sein denn es war hell und duftig schöne Luft – aber ich sah keinen Horizont, keine Gegenstände. Der Himmel und der Boden hatten die selbe warmweiße Farbe. Es gab auch keine Wände – eine kleine Welt die aber zugleich unendlich und inhaltslos schien.
Jetzt drehte ich mich um und hinter mir sah es genau so aus. Ich bin alleine. Nur dieser sanfte, duftende Wind kam immer aus einer bestimmten Richtung.
Dazu ein besonderer Klang von harmonischem, mehrstimmigem Summen und helles Klingen. Wie kleine Glöckchen, die man an Kinderspielzeug findet. So stand ich irgendwo im Nirgendwo und blickte an mir herunter, zwischen meinen Brüsten über mein Bäuchlein und auf meine Zehen. Ich spürte den Boden aber konnte ihn nicht sehen.

Der Wind

Also ging ich ins Nichts – aber immer dem Wind entgegen, irgendwoher musste er ja kommen. Überall war es gleich hell. Oben unten – um mich herum. Selbst der Boden auf dem ich barfuß ging war wie gesagt nicht wirklich erkennbar. Ich hörte das Geräusch meiner nackten Füße wie auf warmen Fliesen. Vorsichtig und sachte trat ich auf. Schritt für Schritt. Gerade wollte ich wieder rufen indes ich einen Punkt sah und inne hielt. Winzig, direkt vor mir. Wie zum greifen, aber meine Hände griffen nur Luft. Ich ging auf den Punkt zu, der langsam größer zu werden schien. Flach, zweidimensional. Wie ein Aufkleber an der unsichtbaren aber unerreichbaren Wand.
Der Punkt wurde größer, es war eher ein Loch. Denn innerhalb des Punktes war es grün. Ich war sicher, aus dem Punkt kommt der Wind und der Duft. Ich begann zu rennen, immer auf den Punkt zu. Jetzt sah es wie ein rundes Fenster aus in dem sich etwas bewegte. Das überraschte mich und ich blieb stehen. Die Bewegung in dem Fenster stoppte auch. Nun wieder rennen, schnell zu dem Fenster und es mischte sich das Grün darin mit dem Weiß meines Raumes und den Bewegungen darin, bis ich erkannte das ich es selbst war die ich in dem Fenster sah. Ich ging nun langsam auf das Fenster zu. Es war groß oder eher ein Spiegel denn ich konnte mich sehr gut erkennen. Ich sah mich an, ich war nackt und so wie ich nunmal bin. Ja und ich sah meine Verletzungen. Aber das Fenster, der Spiegel, das war wie eine senkrechte leicht wogende Wasseroberfläche.
In dieser Welt scheinen die Erscheinungen anderen Gesetzen zu folgen. Ich ging ganz nah an die spiegelnde Wasserfläche heran. Der duftende Wind wehte mein Haar auf und ich erspähte dahinter das grün, wie Bäume oder Pflanzenbüsche. Oh, da waren auch Umrisse von Personen die hin und her gingen. Vorsichtig streckte ich meinen Finger in Richtung der wogenden Oberfläche und sogleich kam meinem Finger so etwas wie eine silberne Wassernadel entgegen. Ich stoppte meine Bewegung und die Wassernadel berührte meine Fingerspitze; und sogleich umhüllte sie meinen kompletten Finger.

Warm war es, wie warmes Wasser. Und ich spürte einen leichten Zug, sanft, ja – fast liebevoll. Als wolle das Wasser sagen – „komm nur mit, hab Vertrauen“. Ich folgte in ganz kurzen barfüßigen Schrittchen auf Zehenspitzen dem Ziehen an meinem Finger und das Wasser erfasste jetzt meinen Arm. Ich sah durch die wogende Oberfläche meinen Arm auf der anderen Seite. Sich bewegend, verschwimmend, wabernd. Wohlige Wärme durchflutete mich und schon folgte meine Brust und meine Beine, mein Gesicht und ich war kurz ganz umschlossen, da… oh…

Ein Haus

Musik, weicher Teppich, ein warmes Zimmer und Räucherduft.
Kissen, Decken, ein schönes Sofa und Kerzenlicht. Und ich – zerschunden, verletzt, verschmuddelt mit Flecken, gestresst, verängstigt und nackt. Mich vorsichtig nur mit den Augen umsehend, kaum bewegend, still, so stand ich da mehrere Minuten bevor ich auch nur wagte mich umzudrehen. Aber da war nur eine Tür – eine Tür in einen Flur mit einer nach unten führenden Treppe. Wo ist das Wasserfenster hin? Was war das überhaupt? Und wo ist mein Karton? Ich verstehe gar nichts mehr.
Ich schluckte schwer und mit erstickter, zittriger Stimme rief ich – „…i…ist jemand hier? Hm…?“

Noch jemand

„Hier sind viele“, sagte Jessy mit feiner Stimme, die links von mir auf einem Stuhl saß. Weil sie so still war hatte ich sie erst gar nicht bemerkt. Sie ist da, Steff!“ rief Jessy gedämpft. „Sie ist durch das Portal gekommen“. „Durch das Portal?“ fragte Steff, der auf einmal hinter mir stand und mich sofort respektvoll in eine wundervoll warme und flauschige Decke hüllte. „Das ist eine seltsame aber schöne Reise – und sehr selten. Nur Dolls die sich wirklich verloren fühlen, können es durchqueren. Und wie hübsch Du bist, Mariko. So liebe Augen und so eine freundliche Ausstrahlung hast Du.“

Mir blieb fast die Sprache weg. „Nicht wieder einpacken, nicht wegschicken?“ fragte ich.
„Auf keinen Fall,“ sagte Steff, „Auf gar keinen Fall! Aber so wie es aussieht sollten wir Dich nun erst einmal baden und schön sauber machen.“
Ooh – baden mit viel Schaum, ja? Und wieder sauber werden – was ich mir schon so lange wünschte.
Dann sagte er: „Und danach sehen wir uns Deine Blessuren an, in Ordnung?“
Ich nickte nur, er hob mich an und drückte mich eine Minute lang an sich. Ich glaub er mag mich.
„Sei von Herzen Willkommen, liebe Mariko.“ sagte er noch und alle meine Fragen waren auf einmal beantwortet.

Die Antworten

Das Wasserfenster war das Portal zur- und aus der Zwischenwelt. Diese erschien mir nur deswegen leer weil ich nicht mehr so fest an sie geglaubt hatte. Der anfangs kleine Punkt war der Rest an Glauben den ich noch hatte und ich lernte so, jetzt niemals den Glauben daran aufzugeben – um nicht verloren zu gehen.
Die wohligen Klänge waren die Rufe jener die mich lieben und der duftende Wind war mein Herzens-Lotse. Auf diese Weise entging ich den Strapazen der Reise bis hierher, in die analoge Welt bei Steff und Nic. Ich kann mich überhaupt nicht erinnern wie ich hier her transportiert wurde. Mein Lauf durch die leere Zwischenwelt waren nur Minuten, obwohl meine Reise bis hierher gut zwei Tage gedauert hat. Ganz erstaunlich.
Und die Glöckchen? – Die Glöckchen sind die Liebe selbst, die im Herz klingen und uns leiten.

Zu Hause

Und nun bin ich hier, erzähle Euch von meiner seltsamen Reise und freue mich wenn auch Ihr ein paar Worte für mich habt. Denn ich habe eine Persönlichkeit mit der ich nicht hinter dem Berge halten will, und _hier_ [LINK] könnt ihr noch etwas mehr über mich erfahren.
Jedenfalls habe ich nun einen hübschen Kimono und eine ultra süße kuschelige Mütze bekommen. Ich habe ein schönes Zuhause gefunden, oder eher das Zuhause mich? Ich weiß es nicht – aber meinesgleichen ist auch hier, Jessy und die kleine freche Yolo mit ihrer Schwester Zoé – und die zuckerliebe Nathalie, die ich ganz besonders lieb habe weil sie mich so liebevoll getröstet hat.

Aber das erzähle ich Euch ein anderes mal.

 

Eure Mariko 

Marikos Reise