Helens Reise
Helens Reise

Helens Reise

Der Auftrag –

 

Es waren Schreie. Schreie voller Hass und Wut in schwüler Hitze und Mosquitoschwärmen die einen auffraßen. Verdammter Columbianischer Busch… Das bringt mich noch um.
Ein Tunnelblick – wie durch ein Rohr in dem alles durcheinander lief. Es waren so viele, ich hatte längst den Überblick verloren. Die vielen Flammen und Rauch in dem so viele ums Überleben rannten, wo alle Struktur der Kommandokette danieder lag. Gerade wo ich das Fernglas hängen lassen wollte stießen die zwei kleinen sandgrauen Rafale Jets aus den im Vordergrund liegenden Rauchwolken heraus. Fast senkrecht stiegen sie mit weißen Kondensstreifen an den Flügelspitzen auf und ich sah ihnen hinterher – wie sie auf ihrer Flugbahn zwei rußbraune Linien am Himmel zurück ließen, die vom Wind seitlich abtreiben. Das infernale Grollen ihrer Nachbrenner verstummte erst als sie sich in sicherer Höhe und Entfernung befanden. Geile Typen – ich liebte diese Jungs… weil die es einfach drauf hatten.

 

Ein heftiger Schlag und ein heiß stechender Schmerz. Ich fiel… und ich sah Zweige und Blätter nach oben in den über mir von einer Rauchwolke vernebelten Himmel steigen, wo das Licht der Sonne nur noch diffus hindurch drang. Ein Gefühl als wäre ich mein eigener Passagier und die Luft sauste an meinen Ohren vorbei. Wo ich gerade alle Bäume über mir sah schlug ich so gewaltig mit meinen Rücken auf dem Waldboden auf das mir die Luft weg blieb. Blitze und Punkte vor meinen Augen. Ich öffnete den Mund und sog ruckartig ein, aber es kam keine Luft. Bäume und Rauchschwaden über mir. Das Licht flackerte – oder ob es meine unregelmäßig zitternden Augenlider waren die ich kaum mehr offen halten konnte? Die Konturen der Blätter verschmolzen und zerliefen in dem Rauch und dem diffusen Blaugrau des Himmels. Die Wirren der Flucht und des Kampfes, die tagelangen Mühen und Entbehrungen liefen vor mir ab. Ich war jetzt so müde davon. Keine Farben mehr und keine Umrisse. Ruhe umfing mich. Schwer lag ich da, ich war getroffen, Arme und Beine wie Blei, angekettet, als sich leicht knisternde Schritte näherten… „Helen,… Helen,…!“

Schwarz –

Atmen. Ich konnte wieder atmen und mein Puppenherz schlägt, dachte ich. Nur sehen konnte ich nichts. Aber ich hörte ein schwebendes Brummen wie das mehrerer Motoren… Sie fliegen mich mit einer C-130 raus. Ich lauschte dem unverwechselbaren Klang dieser vier kraftvollen Allison Motoren. Sanft und gleichmäßig schmeichelten ihre Schwingungen meiner Seele.

Erinnerungen –

„Helen,… Helen,…!“ wie ein Echo in meinem Kopf kam es zurück. Das war Tim. Meine Erinnerungen kehrten wieder. Was war nur passiert? Es war ein völliges Durcheinander.
Tims Stimme erkannte ich sofort. Er klang immer überanstrengt, so als würde er ständig was schweres heben. Aber er war ein wahres Kampfschwein. Wenn Tim richtig warmgelaufen war, war er wie ein Hammer. Alles was er dann sah waren nur noch Nägel. Er kam aus einer rauen Gegend, aus dem Harlan County, unten in Kentucky. Harlan County, wo er sich über Jahre in den Kohleminen nahe der Grenze zu Virginia die Seele aus dem Leib geackert hatte nur um seinem Vater zu gefallen. Er sang immer so einen Song vor sich hin:

In the deep dark hills of eastern Kentucky
That’s the place where I trace my bloodline
And it’s there I read on a hillside gravestone
„You’ll never leave Harlan alive“…
<span class="su-quote-cite">Tim</span>

„Wir bringen Dich raus, Helen.“ flüsterte er mit gepresster Stimme in mein Ohr. „Fass ma‘ mit an Oz!“ „Jou“ sagte Oz. „Komm schon Oz… Das muss jemand besonderes machen – die Nummer überlebt sie sonst nicht.“
„Nä.“ bestätigte Oz, fast schon eloquent.

Oz, wir nannten auch Ozzi,… eigentlich hieß er Oswald aber er hasste den Namen. Ozzi sprach nur wenn es unbedingt nötig war. Selbst dann zumeist einsilbig, ja fast widerwillig. Er war so gut darin das er es fertig brachte mehrsilbige Wörter, ja sogar mehrere davon wie eine Silbe auszusprechen. Von Ozzi gab es nur die Essenz der Information.
Wo Ozzi her kommt wusste keiner von uns genau. Wir wussten nur das er früher mal Anwalt werden wollte, ein paar Jahre in England war, nun hier ist. Ein genialer Techniker und Stratege ist er.

Es ist kalt. Rechts liegt was hartes kaltes… Sie haben mir meine Waffe mitgegeben. Das kann nur bedeuten das der Auftrag erledigt ist. Also muß Ozzi es geschafft haben den Zielmarkierungssender aufzustellen. Stimmt, ich erinnere mich. Unsere Jets haben dann den Rest erledigt und das ganze Labor platt gemacht. Deswegen auch überall der Rauch und ätzende Geruch. Seit dem waren sie uns auf den Fersen; weil Ozzi gefurzt hat. Da sagt der Kerl sonst kaum was, aber den Furz haben sie gehört und gleich drauf los geballert. „Weg! “ rief Ozzi und wir rannten. Durch den aufgeschnittenen Zaun, über unser Lager, wo jeder nur schnell das Nötigste griff. Ich ergriff gerade mal ein Magazin und das Satellitentelephon und Tim warf geschickt zwei entsicherte Laserminen in die Buschränder. Dann ging es ab in den Wald. Vielleicht könnte ich vom Baum oben zwei oder drei von ihnen erwischen…

Im Augenwinkel sah ich Ozzi wie er seine Wasserflasche hin warf. „Saubande.“ brummte er. Statt froh zu sein das es nur die Flasche erwischt hatte und nicht seinen Hintern. Ein unüberhörbar tiefer Knall.
„LM-7“ murmelte Ozzi. Das sollte bedeuten das eine Lasermine ausgelöst wurde. Jetzt werden sie wohl vorsichtiger folgen. Ich atmete durch und justierte das Zielfernrohr.


In einem großzügig geflogenen Bogen kamen unsere beiden Rafales noch einmal und drehten ein für einen zweiten Strike. Wie zwei Eulen mir scharfem Blick auf die Beute kamen sie, tief, dicht über die Baumspitzen, fokussiert, fast lautlos glitten sie heran. Diese Jungs waren echt die Besten. Zwei dünne weiße Streifen verrieten die kleinen Raketen, die nun das Treibstoffdepot in einem orangerot leuchtenden Ball aufgehen ließen, an dessen Rändern dunkle Rauchfahnen hinter sich her ziehende Brocken auseinander stoben. Die kleinen Jets tauchten riskant in die riesige Rauchwolke ein, ihr habt Nerven…

Ja man, das wars. Jetzt bin ich also hier… Wo bin ich hier eigentlich drin? Das ist doch ne Kiste? Polster und weiches Zeug.. Ist das eine Pappkiste? Naja wenigstens kein Sarg. Verdammte Pappkiste, wo ist mein Messer…meine Lampe?

Dann: „Ruhig – Helen.“
Das war nicht Ozzi oder Tim. Aaalter tut meine linke Schulter weh. Da muss ich drauf gefallen sein. Irgend ein Verband haben sie dort drum gemacht.

Kein Gleichgewicht –

„Beruhige Dich und Deine Gedanken, Liebe Helen.“
Liebe Helen? Das hat niemand bisher zu mir gesagt. Wo ist mein Messer!…!
„Helen, stop! Hey – es ist vorbei. Deine Waffen brauchst Du jetzt nicht mehr. Die Zeit des Kämpfens ist vorüber.“

Wer bist Du? Fragte ich diese doch seltsam vertraute Stimme. Heimlich hatte ich das Messer dann aber doch in der Hand.
„Helen, Liebe Helen. Nicht mehr kämpfen.“
Aber das war immer meine Aufgabe, ich kann nichts anderes.
„Doch, das kannst Du.“ sagte die Stimme. „und was Du noch nicht kannst das lernst Du, indem Du Dein Messer wieder zu klappst.“
…wie kann er das wissen? Fragte ich mich in Gedanken.

„Ich höre Deine Gedanken, Helen. Ich bin Steff, Du wirst zu uns geflogen, damit Du leben und überleben kannst. Du bist schwer verletzt – deswegen Helen. Kein Kampf mehr und auch kein Auftrag. Dein Auftrag ist erfüllt und es war ein großer Erfolg.“
Haben wir es geschafft? Haben wir es gut gemacht?
„Ihr wart spitze, Du warst spitze, ein tolles Feuerwerk war das.“
Tim und Ozzi…?
„Wohlauf, sie sind bei ihrer Einheit. Und die beiden Rafale Jets sind auch zurück. Harry, der Flügelmann lässt grüßen und dankt Dir auf ewig, das Du den Typen mit der Stinger Rakete, der auf der Anhöhe kauerte, erwischt hast. Sonst wäre er jetzt wohl nicht zuhause bei Kaffee und Kuchen.“

Hmm… Steff… So so, was sagt man dazu. Au verdammt diese Schulter. Aber was wenn das eine perfide ausgeklügelte Falle ist? Ich war voller Zweifel und Misstrauen und schaltete meine Taschenlampe ein. Ich war eingewickelt und weißes Schaumzeug umgab mich. Ich legte das Messer beiseite und ruhte. Steff scheint es ja gut zu meinen, schließlich wusste Tim wohl schon genau wohin er mich bringen lässt. Ich sah meine Stiefel und den Schalldämpfer von meinem Gewehr, das Messer war da und die Pistole lag zwischen meinen Beinen. Na bravo! Ich drückte leicht gegen den Deckel meiner Kiste und er wölbte sich aus. Gut, nur Pappe, das schneide ich zur Not selbst auf. Mal sehen wo ich ankomme und im Notfall werde ich mich gut zu verteidigen…

„Helen, Helen. Die süße Söldnerin. Du selbst bist der Notfall. Nicht zu fassen – immer im Alarmzustand, selbst in Deiner Verfassung? Du gönnst Dir keine Ruhe, denkst und überlegst angespannt über alle Eventualitäten nach? Hab einfach nur vertrauen, hier wirst Du freundlich empfangen, hier gibt es keine Waffen, denn retten wollen wir Dich. Versteh Doch, wenn Du nicht bald behandelt wirst, wirst Du nicht überleben.“

Alter Schmerz –

Wenn Steff wüsste, dachte ich.
Mein Macker, der mich damals bestellt hatte, wir lebten in Flat Rock – North Carolina, hat mich wie Dreck behandelt. Immer drüber gestiegen, ungewaschen, verfaulte Zähne, verfilzt und verlaust. Getreten und geschlagen hat er mich, und anfangs liebte ich ihn selbstlos, so wie wir Püppis eben sind. Auch wenn er mich nie sauber gemacht hatte. Aber irgendwann hatte ich einfach doch endgültig genug und ging zu der Söldnertruppe. Die haben mich wieder aufgebaut. Als ich dann wieder voll da war sind wir nach Flat Rock gefahren. Dort hab ich dann meinen Ex besucht. Als er die Tür öffnete und ich seine herablassende Art und sein selbstgerechtes Zahnlücken Grinsen sah, da konnte ich nicht anders und entfernte mit meinem rechten Stiefel seine verbliebenen Beißerchen. Ich ließ neben ihm wortlos eine Schnabeltasse fallen, putzte meinen Schuh an seiner Hose ab, schlug den muffigen Staub der Vergangenheit aus meinem offenen, knöchel-langen Mantel, drehte mich um und ging durch das bunte Laub zurück in Richtung Straße. Die Salven von Flüchen, die er mir in unscharfer Phonetik nachwarf, kamen nur noch als geistiges Grundrauschen bei mir an und ich ließ meine linke Hand geräuschvoll in die rechte Armbeuge fallen, zeigte ihm meinen Mittelfinger während ich, der Sache nicht wert anzuhalten, festen Schrittes weiter ging.
Der Herbst-Wind wehte meinen Mantel und mein Haar auf, ich kniff die Augen zusammen, sog die würzig duftende Luft durch meine Nase tief ein und lächelte den Wind an, ja – nun sind alle Rechnungen endlich beglichen. Ich stieg in den Transporter in dem meine Kameraden warteten. „Und war’s schlimm?“ fragte Captain Vardoux.“
“Oh, non, au contraire, mon capitaine.“ antwortete ich ihm. Er war noch von alter Schule aus der Legion.
„Es war mir ein inneres Fest, jetzt sind alle Dinge im Reinen.“ sagte ich heiser ausatmend während er den Motor startete.
„C’est trés bien, ma fille.“ kam in väterlichem Ton und wir fuhren zum Stützpunkt.
Ohne ihn, ja… Wäre ich sicher nicht hier – und nicht das was ich jetzt bin.

In der Realität –

„Alles das kannst Du uns nach Deiner Rettung ausführlich berichten, liebe Helen.“
Ich sagte, ach wen interessiert das schon, Steff?
„Mich, und uns alle hier die auf Dich warten. Wir interessieren uns für Deine Geschichte, Dein Leben, für Dich. Die Person und liebevolle Frau Helen, die wir vielleicht wieder zum Vorschein bringen werden, wenn wir all den Zorn, Haß und Schmerz von Deiner Seele geschaufelt haben.“
Was soll das alles eigentlich? Warum tut ihr das?
„Weil wir Dich lieb haben. Dein Kamerad und Waffenbruder Tim wusste das.“

Jetzt war ich sprachlos, so wie lange nicht mehr. Ja es stimmt – Tim wusste immer schon mehr als ich. Und er wusste auch immer was gut für mich ist. Mein Leben habe ich ihm anvertraut.

Die Landung –

Nach endlosen Stunden und Zwischenstopps landete die Lockheed C-130… und bald schon wurde ich zügig in ein Lieferfahrzeug umgeladen.
Es ging recht rasant zu als wäre der Fahrer in Eile. Meinetwegen diese Eile?
Gerade erst auf der Autobahn, da dröhnte auch schon die C-130 über uns hinweg. Braves Baby – tausende von Meilen hat sie mich bis hier her getragen. In meiner Phantasie war die Hercules auch lebendig. Mit ihren vier donnernden Motoren schickte sie mir ihren letzten Gruß und ich verabschiedete mich von ihr. Mach’s gut liebe „Herc“. Langsam schwang sich die schwere Maschine über eine Kurve in die Höhe und ihre summende Stimme vermischte sich mehr und mehr mit den Geräuschen des Lieferwagens. Kurz nur schwoll sie noch einmal an um dann wie eine Erinnerung, in meinem Kopf eingebrannt, eine Spur freundschaftlicher Tapferkeit zu hinterlassen. Wie ihr adretter Copilot, damals, mit dem ich mal kurz was hatte. Hinten auf der Ladefläche der Hercules, inmitten von öligen Putzlappen, zwischen Munitionskisten, Ladenetzen und Karabinerhaken, – irgendwo in Guatemala auf einem staubigen Provinzflugplatz in der Nähe von Santa Teresa. Ich mochte ihn, er war anständig, aber eine Liebespuppe wie ich, das war dann wohl doch nicht so sein Ding.

Zum Ziel –

Der Fahrer ließ nichts unversucht um Zeit zu gewinnen. Nur mit etwas Mühe konnte ich mich festhalten. Er nahm mehrere enge Kurven und bremste so stark das meine Pistole bis zu meinen Füßen polterte. Shit, Tim wird die wohl gesichert haben. Der Fahrer hupte und rannte aus dem Auto. Eine Stimme rief, „Schnell, bringen wir sie rein!“ Etwas unsanft wurde ich von der Ladefläche gezerrt und genauso unsanft in einem Haus abgesetzt.

„Jetzt reicht es mir aber wirklich!“, rief ich in meiner Kiste, Messer her. Mir stinkt es jetzt!!
„Helen, Vorsicht.“ rief Steff.

 

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